Mittwoch, 7. Juni 2023 - 15:00
Der Olympionike Vaclav "Wenzel" Mara flüchtete aus der Tschechoslowakei nach Rapperswil‑Jona, wo er den Kanuclub prägte wie kaum ein anderer. Am 22. Mai 2023 ist der 79-Jährige gestorben – beim Kanufahren.
Als Vaclav Mara in Rapperswil ankam, hatte er bloss sein Rennkajak, sein Paddel und seine Sportsachen dabei. Spontan beschloss er, nicht mehr in seine Heimat, die damalige Tschechoslowakei, zurückzukehren. Das war im August 1969. Über fünf Jahrzehnte später endete sein Leben bei einer Ausfahrt auf dem Obersee – wenige Monate vor seinem 80. Geburtstag. Nichts konnte für ihn wohl schöner sein, als bei seiner geliebten Tätigkeit gehen zu dürfen. Täglich, bei jedem Wetter, war Vaclav Mara morgens auf dem See. Und wenn nicht, dann bestimmt im Fitnessraum oder im Winter beim Langlaufen. Aufhören war nie ein Thema. «Das geht nicht. Kanu ist wie Zähneputzen – es gehört einfach zum Alltag dazu», sagte er einst.
Der Zufall wollte es, dass bei seiner letzten Trainingsfahrt am 22. Mai ein langjähriger Weggefährte gleichzeitig ins Boot stieg. «Endlich ist es genug warm, um im T-Shirt zu paddeln.» Das sagte Vaclav Mara noch am Steg zu Dionys Thalmann, wie dieser berichtet. Auf dem See gingen sie dann getrennte Wege. Die beiden kannten sich seit Vaclav Maras erstem Tag in Rapperswil‑Jona. Dionys Thalmann war 1969 ein Teenager, Vaclav Mara ein Weltklasseathlet, der an der internationalen Kanuregatta auf dem Obersee teilnahm. «Star ohne Starallüren» titelte die «Linth‑Zeitung» nach dem Rennwochenende über Mara. Der Sechste der Olympischen Spiele des Vorjahres dominierte den Wettkampf in Rapperswil. Für Vaclav Mara selber aber war das Wochenende tragisch. Gleichzeitig jährte sich der Prager Frühling. In seiner Heimat wurde ein erneuter Volksaufstand gewaltsam niedergeschlagen. Via Zeitung erfuhr er von den fünf Toten und 3500 Inhaftierten. «Mir wurde klar, dieser Mist geht noch 20 Jahre so weiter», sagte Vaclav Mara über diesen Moment. Und mit «Mist» meinte er das sozialistische Regime, welches die Moskauer Sowjetführung durchdrückte – und dafür Panzer durch Prag rollen liess. Davon hatte Vaclav Mara genug. Lieber blieb er in der Schweiz. Auch wenn seine Spitzensportkarriere dadurch litt. Sportlich ging er zurück in die Steinzeit, wie er zu sagen pflegte. An Profisport war nicht zu denken. Drei Tage nach seiner Ankunft fand Vaclav Mara eine Stelle als Konstrukteur in Männedorf. Er arbeitete zehn Stunden pro Tag. Und pendelte zwischen Rapperswil und der Gemeinde am Zürichsee – natürlich mit dem Kanu.
Sein Schicksal war für den Kanuclub Rapperswil‑Jona ein Glücksfall. Gleich zu Beginn bläute er den neuen Clubkameraden ein, dass sie ihn Wenzel nennen sollen – die deutsche Version von Vaclav. Das war ihm lieber, als wenn sie seinen Vornamen falsch ausgesprochen hätten. Der Name Wenzel bürgerte sich ein, genauso wie seine harten Trainingsmethoden. «Bevor die Tschechen kamen, gingen wir bei schönem Wetter auf den See und drehten eine Runde von vielleicht sieben bis acht Kilometern», erinnert sich Dionys Thalmann. Mara und weitere emigrierte Landsleute trainierten jeden Tag, ob Sonnenschein oder Schneegestöber – 15 Kilometer im Minimum. Schnell machten die einheimischen Kanuten Fortschritte. Zehn Jahre später war der Kanuclub in Moskau erstmals an Olympischen Spielen vertreten – unter anderem mit Dionys Thalmann. Vaclav Mara aber blieb eine erneute Teilnahme nach 1968 verwehrt. Der Kanuverband der Tschechoslowakei verweigerte ihm die Freigabe. Immerhin konnte Vaclav Mara für die Schweiz an Weltmeisterschaften an den Start gehen – er trug voller Stolz die Fahne beim Einmarsch und heimste Top-10-Resultate ein. Dazu übernahm er Aufgaben als Trainer. Seine Athleten nahmen an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen teil. 1989 erhielt er den Sportpreis der Stadt. Die Urkunde zierte bis zu seinem Ableben die Wohnzimmerwand in seinem Zuhause in Jona. Dort hinterlässt er seine Frau und eine erwachsene Tochter.
Im Kanuclub – seinem zweiten Daheim – erreichte Vaclav Mara noch zu Lebzeiten Legendenstatus. Keiner war so viel im Bootshaus wie er, keiner hat über die Jahre so viele Kilometer erpaddelt. Für seine Letzten hat er sich einen prächtigen Frühsommertag ausgesucht mit einem spiegelglatten Obersee, wie ihn die Kanuten lieben.
Und schliesslich ist Wenzel gegangen, wie er in Rapperswil‑Jona angekommen ist: mit seinem Kanu, Paddel und seinen Sportsachen.
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